ATI World in Alzenau ist einer der wichtigsten Reisevermittler im Luxuskreuzfahrtenmarkt für den deutschsprachigen Bereich. Inhaber und Geschäftsführer Jürgen Kutzer im Interview zur aktuellen Situation, der Entwicklung seiner Firma und den Aussichten im Markt.

Was hat Sie bewogen, ATI zu gründen und Ihr gesamtes Berufsleben mit der Reise- und insbesondere der Luxusreiseindustrie in Form von Kreuzfahrten zu widmen?

Die Reiselust muss von meiner Mutter kommen – abgesehen davon, dass mir die Flucht aus Breslau noch heute als nicht so schöne Reise im Gedächtnis ist. Wir sind als arme ,,Kirchenmäuse“ auf der Ladefläche eines LKW bis München zu den Großeltern oder im Zug bis an die Grenzen, da wir bei der Bahn ein Mal im Jahr einen Freifahrt-Schein hatten. Später bin ich mit einem gemieteten Fahrrad und Zelt vom Jugendamt durch Frankreich gefahren. Die Welt von Alaska bis Feuerland zumindest in Gedanken und in der Planung zu entdecken – auch wenn es nicht durchführbar war – hat mir immer Freude bereitet. Mit 19 bin ich zu Fuß durch Griechenland, mit 20 auf die Cheops-Pyramide geklettert und dann mit 50,- DM in Beirut gestrandet ohne Rückfahrschein.

In meinen späteren Beruf als Nuklear-Verkaufsingenieur wurde mit dem Niedergang der Nuklear-Industrie eine Neuorientierung notwendig. Ich habe dann 1977 meine Reiselust zum Beruf gemacht und dies nie bereut. Als Silversea auf die Aviation & Tourism International-Vertriebskette zukam und später auch Ponant Cruises, haben wir uns intensiv als Generalagent um den Aufbau der damals unbekannten Produkte eingesetzt und dies beständig im oberen Segment erweitert.

Jürgen Kutzer

Jürgen Kutzer, GF und Gründer ATI World. Foto: privat

Sie vertreten namenhafte Reedereien, die im oberen Preissegment bzw. im Luxusbereich agieren. Wie wählen Sie Ihre Kooperationspartner (die Reedereien und Veranstalter) aus, mit denen Sie arbeiten möchten?

Wir haben uns bewusst auf ein bestimmtes, oberes Segment bei Kreuzfahrten und individuelle Reisen wie nach Bhutan (das wir einige Zeit als auch Tourismus Office vertreten haben) konzentriert, da wir nur hier den notwendigen, personellen Service bieten können. Interessanterweise haben wir uns selbst nie um eine Erweiterung unserer Palette bemüht, sondern wurden immer von den Reedereien/Veranstaltern um Zusammenarbeit gebeten. Grundsätzlich prüfen wir jedes Angebot, ob es zu uns passt. So sind wir bei den nostalgischen Göta Kanal-Schiffen zu einem der besten Agenten geworden. Was man persönlich liebt kann man auch mit Begeisterung verkaufen.

Was heißt Luxus für Sie persönlich und was gehört einfach dazu?

Dies wurde ich schon vor 25 Jahren gefragt. Luxus ist was wohl etwas was über den normalen Lebensstandard hinaus geht und für Jeden unterschiedlich. Wir haben gerade einer Familie in Simbabwe einen Brunnen bohren lassen, damit die Kinder nicht mehr 1 Kilometer zur Wasserstelle laufen müssen. Für die Familie dort jetzt vielleicht Luxus, für uns eine gedankenlose Selbstverständlichkeit.

Ich persönlich mag das Wort nicht, auch wenn wir es durch die Vorlagen der Veranstalter-Produkte verwendet haben, aber jetzt bewusst möglichst nicht mehr nutzen. Einige Reedereien haben dies offensichtlich auch erkannt und sprechen nun z. B. von ,,authentischen Erlebnissen“, was insbesondere in der jetzigen Situation angemessener klingt.

Was war Ihr erster Kontaktpunkt mit Schiffsreisen?

Auf harten Holzplanken von Athen nach Alexandria und zuvor im durchgerosteten Rettungsboot auf dem Oberdeck nach Mykonos.

Über die Jahre haben Sie zahlreiche Schiffe kennengelernt, waren bei Markteinführungen von Neubauten dabei. Was bewegt Sie bei diesen Shakedown Cruises am meisten? Geben Sie den Reedereien Tipps, wo evtl. noch fine-tuning in Sachen Service und Hardware vorgenommen werden könnte? Können Sie Beispiele nennen?

Jedes Schiff ist ein Unikat und bei der Indienststellung noch nicht in allen Ecken perfekt, sowie in der Hardware und wie auch im Service. Es ist schön, wenn man mit Partnern aus der Industrie bei der Einführung eines neuen Schiffes dabei sein darf, um dann gemeinsam an der Perfektion zu arbeiten. Bei Silversea waren wir schon vor dem Stapellauf der Silver Cloud in die Routenplanung und auch Ausstattung sowie des geplanten Alles-inklusive-Service eingebunden. Da es eines der ersten Schiffe mit Verandas war und noch keine erprobte Hardware für z. B. die Balkon-Türen verfügbar war, wurden normale Hausschiebetüren verwendet, was aufgrund der unterschiedlichen Druckbedingungen zu ständigen Pfeifgeräuschen führte. Wir haben dann Techniker aus Deutschland organisiert, die die Dichtungsprobleme behoben. Es waren eben zum Teil noch Pionierzeiten.

 

Jürgen Kutzer an Bord

Foto: privat

Welche Cruise oder welches Schiff ist in besonderer Erinnerung geblieben und warum?

Da gibt es zu viele schöne Erinnerungen die nicht nur mit dem Schiff oder der Route, aber oft auch mit den Menschen auf dem Schiff und vor Ort in Verbindung stehen.

Auf jeden Fall die Antarktis, Arktis und der Orinoco mit den Schiffen von Ponant, der einzigartige Service auf den Schiffen von Crystal Cruises aber auch bei Silversea und Regent. Eine nostalgische Reise auf dem Göta Kanal (Wir veranstalten in diesem August wiederum eine eigene Jazzreise von Stockholm bis Göteborg mit einem Vorprogramm in St. Petersburg und Helsinki.) ist auch einmalig schön.

Worauf legen Ihre Kunden besonderen Wert bei einer Buchung?

Jeder Gast möchte seine – oft selbst nicht bewussten Wünsche erfüllt sehen. Eine intensive, persönliche Beratung – verbunden mit eigenen Reiserfahrungen von meinen Mitarbeitern und mir – sind eine Voraussetzung.

Die Freude daran mit Mensch Kontakt zu haben, dies auch nach der Reise aufrecht zu halten und jede Reise so zu planen als wäre es die Eigene, sind ein Teil des Erfolges. Beispielsweise dem Gast auf dem Hinflug nach New York einen Sitz links zu reservieren, damit er nicht in die Sonne blickt, kostet nicht mehr und wird dankbar vermerkt.

Wir haben daher kein Problem, wenn die sich die Massenprodukte direkt online verkaufen. Unser Kundenkreis mit einem gewissen Alter und bestimmten Lebensgewohnheiten schätzt den Service, den wir und einige wenige Kollegen sowohl den Gästen wie auch den Reisebüros bieten.

Wie laufen die Buchungen für 2021/22? Gibt es schon Trends für bestimmte Ziele oder Anbieter?

Verhalten wenn es bis Herbst 2021 geht und optimistisch für die Zeit danach. Die meist großzügigen Stornierungsregelungen der Reedereien machen es den Gästen leichter, Reisen für 2022 und auch schon 2023 zu buchen. Für die Reedereien mit dem Risiko, dann evtl. doch wieder stornieren zu müssen. Wir und Kollegen gehen davon aus, dass zumindest bis Mitte 2022 zumeist Ziele mit kurzer Anreise innerhalb Europas gefragt sind. Alaska ab Juni 2021 anzubieten ist auch mit 2 Kategorien-Upgrade derzeit Wunschdenken.

Um das „Horror“-Jahr 2020 kommen wir nicht herum. Wie liefen die ersten Monate der Pandemie bei Ihnen ab? Wie haben Sie Rückreisen, Erstattungen und Umbuchungen Ihrer Gäste geschultert?

Teils chaotisch wie überall – nicht durch uns bedingt sondern durch die sich rasch ändernden Umstände und die oft kopflosen Aktivitäten der Leistungserbringer wie Reedereien.

Wir haben Gäste teils in letzter Minute aus allen Teilen der Welt zurückgeholt. In einem Fall mit der letzten Maschine, die überhaupt Neuseeland verlassen hat. Als ,,Dank“, wollte der Kunde dann auch noch Extrakosten erstattet bekommen. Umbuchungen haben ein Teil der Kunden angenommen, gerne auch unter Nutzung der angebotenen Vergünstigungen. Auf Erstattungen einiger Reedereien warten wir noch immer und haben dafür das finanzielle Risiko zu tragen, wobei die Mehrzahl der Kunden dankenswerterweise Verständnis zeigt. Einige wenige Reedereien wie Silversea behandeln das Thema Erstattungen vorbildlich.

Was waren Ihre persönlichen und beruflichen Lichtblicke in 2020?

Dies ist nicht einfach positiv zu beantworten. Die Gesundheit meiner Familie hier und in Bali und die der Angestellten mit deren Angehörigen ist rückblickend das Wichtigste gewesen.

Jürgen Kutzer

Foto: privat

Worauf freuen Sie sich in 2021 besonders?

Wie so schön gesagt wird – die Hoffnung stirbt zuletzt. Ein Ende der Pandemie zu sehen und wieder das Gefühl haben zu dürfen frei nach Vorne zu sehen.

Ihr Kreuzfahrt oder Destinations-Tipp?

Die Welt ist und die Menschen vor Ort sind überall schön um mit offenen Augen und von uns behutsam besucht zu werden. Gerne empfehlen wir Destinationen die ohne Schiffe nicht erreichbar sind wie die Polregionen oder Häfen/Destinationen abseits der großen Routen.